Wenn Filterblasen nicht platzen dürfen
Wir alle möchten gerne an gute Geschichten glauben, das gilt auch für Journalisten. Eine dieser Geschichten, die sich andauernder Beliebtheit erfreut, ist jene von Filterblasen und Echokammern, in die uns die sozialen Netzwerke treiben, ohne dass wir ihnen entrinnen könnten. Soziale Medien würden, das behauptet Adrian Lobe am Montag dieser Woche in der Süddeutschen Zeitung, durch ihre Like-Maschinerie die Nutzer manipulieren und durch Belohnungsmechanismen derart konditionieren, dass sie möglichst lange auf der Plattform bleiben. Und das ginge nur, indem man ihnen immer dasselbe anbietet, um sie in ihrer Weltsicht oder ihren Neigungen zu bestärken.
Wenn du jeden Tag dieselbe Suppe isst, wirst du sie lieben, hat Martin Walser einmal geschrieben. Wenn du soziale Netzwerke nutzt, kriegst du fortwährend das, was du ohnehin schon kennst, aufgrund der ausgeklügelten Empfehlungssysteme nur immer ein bisschen zugespitzter, meint nun Adrian Lobe. Am Ende lebten viele Menschen in Filterblasen, die kritische Öffentlichkeit leide und die Konzerne verdienten daran, „dass die Axt an die demokratischen Wurzeln angelegt wird“, heißt es in der Süddeutschen. Wirklich, keine schlechte Geschichte. Schade nur, dass sie nicht stimmt.
So lesen wir am selben Montag online bei werben & verkaufen: „Mediale Filterblasen werden überschätzt“. Das Blatt berichtet über eine aktuelle Studie des Politikwissenschaftlers Matt Grossmann im Auftrag der Knight Foundation. Das Fazit der Studie lautet, dass weit weniger US-Bürger als angenommen sich tatsächlich in einer medialen Filterblase bewegen. Das würden nicht einmal viele derer tun, die dies von sich selbst behaupten. Und, in der Tat: Je mehr man dem behaupteten Phänomen der Filterblase nachgeht, auf desto mehr Quellen stößt man, die zeigen, dass es keine wissenschaftlichen Belege für ihre Existenz gibt. Das gilt nicht nur für die USA, sondern auch für Deutschland. Die Voraussetzungen für Filterblasen sind für die breite Masse nicht gegeben, schreibt etwa Birgit Stark von der Universität Mainz. Sie ist beileibe nicht die Einzige, die zu einem solchen Ergebnis kommt.
Ein Abschottungs- und Polarisierungseffekt, der gemeinhin mit Filterblasen in Verbindung gebracht wird, greift höchstens in kleinen Gruppen an den politischen Rändern der Gesellschaft, die sich freiwillig in Echokammern mit Gleichgesinnten umgeben. Die allermeisten Menschen hingegen informieren sich über verschiedene Quellen und nicht ausschließlich über soziale Medien. Diejenigen, die online unterwegs sind, nutzen sogar mehr Informationsquellen als die Offliner der Bevölkerung. Es spricht also vieles dafür, die Filterblasen zum Platzen zu bringen und sich neuen Geschichten zuzuwenden, die näher an der Wirklichkeit sind. Dazu gehört etwa die Frage, wie verhindert werden kann, dass interessierte Kreise die sozialen Medien gezielt missbrauchen, weil sie die Bevölkerung spalten wollen. Oder auch die Frage, wie man noch stärker ins öffentliche Bewusstsein bringen kann, dass das zuverlässigste Fact-Checking von Journalistinnen und Journalisten geleistet wird, die ihr Handwerk gelernt haben. Die demokratische Öffentlichkeit jedenfalls ist robust genug für eine ehrliche Diskussion.